Menu
Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD)

2020 gab es drei schwulenfeindlich motivierte Morde in Deutschland

Fehlende Empathie und Solidarität bei den für die Kriminalitätsbekämpfung originär politisch Verantwortlichen

2020 gab es mindestens drei schwulenfeindlich motivierte Morde. Alle drei Morde sind bislang nicht in der vom Innenministerium veröffentlichten Statistik zu Hasskriminalität gegen LSBTI registriert.

Altenburg, Dresden, Gießen: Drei schwulenfeindlich motivierte Morde 2020

Gießen, Dresden, Altenburg - 2020 gab es mindestens drei schwulenfeindlich motivierte Morde. Während das homophobe Motiv des islamistischen Attentäters von Dresden erst nach Medienrecherchen bekannt wurde und inzwischen auch einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurde, bleiben die beiden anderen Taten weitgehend unbeachtet.

Alle drei Morde sind bislang auch nicht in der vom Bundesinnenministerium (BMI) veröffentlichten Statistik zu Hasskriminalität gegen Lesben, Schwule, bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Menschen aufgenommen. Laut BMI wurden es 2020 folglich 782 Straftaten von Hasskriminalität gegen LSBTI registriert. Von den insgesamt 154 Gewalttaten gelten 144 als Körperverletzungen. 

Es ist zentrales Muster von Homophobie und Transfeindlichkeit, Diskriminierungen und Bedrohungen von LSBTI unsichtbar zu machen und zu bagatellisieren. Deswegen muss sich als erstes die Haltung in Politik, Behörden und auch Medien ändern. LSBTI-feindliche Gewalt ist keine Randerscheinung. Sie bedroht mitten in unserer Gesellschaft tagtäglich Menschen. 

Insbesondere bei den für die Kriminalitätsbekämpfung originär politisch Verantwortlichen fehlen Empathie und Solidarität. Noch nie hat der für innere Sicherheit zuständige Bundesinnenminister eine homophobe oder transfeindliche Gewalttat öffentlich verurteilt, noch nie hat er ein Wort zur Sicherheit von LSBTI gesagt, geschweige denn etwas dafür unternommen. Meist findet man in der Kriminalpolitik nicht einmal einen Funken von Problembewusstsein. Seit 1954 gibt es die Innenministerkonferenz als ständige Einrichtung. Noch nie stand auf einer dieser Innenministerkonferenzen homophobe oder transfeindliche Gewalt als Besprechungspunkt auf der Tagesordnung. In dem EU-Survey berichten 13% der Befragten aus Deutschland, dass sie in den letzten fünf Jahren gewalttätig angegriffen wurden, weil sie LSBTI sind. Angesichts solcher Zahlen ist diese Ignoranz unfassbar. Nicht nur Gewalt, auch Schweigen kann verletzen. Das muss ein Ende haben.

Lediglich in Berlin werden seit einigen Jahren mutmaßliche homophobe oder transfeindliche Hintergründe von Straftaten ausdrücklich in den Polizeiberichten genannt. LSBTI-feindliche Hasskriminalität wird damit gesellschaftlich sichtbar gemacht. Das ist von zentraler Bedeutung. Mit Ausnahme von Berlin veröffentlicht bislang kein Bundesland regelmäßig die gemeldeten Zahlen. Vor kurzem hat Bremen beschlossen, Landesdaten zur politisch motivierten Kriminalität nach dem Vorbild Berlins zu veröffentlichen und dabei queerfeindliche Straf- und Gewalttaten gesondert auszuweisen. 

Der Kampf gegen LSBTI-feindliche Gewalt muss endlich ihren angemessenen Stellenwert in der deutschen Kriminalpolitik, bei Erfassung, Prävention und Strafverfolgung erhalten.

29.10.2020: Schwulenfeindlicher Mord in Gießen

In Gießen attackiert ein 60jähriger Mann seinen Nachbarn mit einem Messer und verletzt diesen an Herz und Lunge. Er hatte diesen zuvor auf der Straße gefragt, ob dieser schwul sei. Nachdem sein Zufallsopfer mit „Warum?“ antwortete, holte der Täter ein Messer hinter seinem Rücken hervor und stach zu.

Während des Prozesses erklärt der Beschuldigte vor Gericht, er habe Stimmen gehört: „Gott hat mir gesagt, ich sollte einen bösen Menschen – einen Homosexuellen – töten.“ Laut einem psychiatrischen gilt der Angeklagte zum Zeitpunkt der Tat als schuldunfähig. Auch die Staatsanwaltschaft geht von seiner Schuldunfähigkeit aus.

Das Landgericht Gießen erklärte den 49-jährigen Angeklagten am 12.05.2021 für schuldunfähig und ließ ihn in eine psychiatrische Klinik einweisen.

Quelle: Queer.de: "Gott hat mir gesagt, ich sollte einen bösen Menschen – einen Homosexuellen – töten" (07.05.2021 [Zugriff vom 12.05.2021]); Queer.de: Homophober Mord: Angeklagter muss in Psychiatrie (14.05.2021 [Zugriff vom 21.05.2021]).

04.10.2020: Islamistisches Attentat auf schwules Paar in Dresden

In der Innenstadt von Dresden werden Thomas und Oliver L., ein schwules Paar, von einem Islamisten mit zwei Messern angegriffen. Einer der Männer wird getötet, der andere schwer verletzt. Laut Anklage wurde das schwule Paar vom Täter als Tatopfer ausgewählt, um sie als „Feinde Gottes“ und „Repräsentanten einer vom ihm als ungläubig abgelehnten freiheitlichen und offenen Gesellschaftsordnung anzugreifen“ und sie für ihre Homosexualität, „die er als schwere Sünde empfand“, mit dem Tode zu bestrafen. Es ist der erste islamistische Terroranschlag auf Homosexuelle in Deutschland.

Trotz erster Anzeichen für ein homosexuellenfeindliches Tatmotiv haben die sächsische Polizei, Staatsanwaltschaft und Innenministerium verschwiegen, dass es sich um ein mögliches LSBTIQ-feindliches Hassverbrechen gehandelt haben könnte. Dies wurde erst nach Medienrecherchen öffentlich. Nachdem die Bundesanwaltschaft die Ermittlungen übernommen hatte, wurde die tödliche Homophobie als Motiv anerkannt. „Das Verfahren läuft wegen des Verdachts des Mordes, versuchten Mordes und gefährlicher Körperverletzung. Ein mögliches homophobes Tatmotiv könnte bei dem Islamisten nahe liegen.“, so der Generalbundesanwalt. Zu Prozessbeginn am 12.04.2021 erklärte der Vorsitzende Richter, Hans Schlüter-Staats:, "Seine Homophobie hat ihn dazu bewogen, sich gerade diese beiden Menschen auszusuchen."

Am 21. Mai 2021 erging das Urteil. Der Täter wird unter anderem wegen Mordes und versuchten Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt. Die Richter stellten die besondere Schwere der Schuld fest, sodass eine vorzeitige Haftentlassung nach 15 Jahren praktisch ausgeschlossen ist. Angeordnet wurde auch der Vorbehalt der Sicherungsverwahrung. Das Oberlandesgericht in Dresden folgte den Forderungen der Bundesanwaltschaft und verhängte die Höchststrafe.

Quelle: Spiegel online: "Seine Homophobie hat ihn dazu bewogen, sich gerade diese beiden Menschen auszusuchen". (12.04.2021 [Zugriff vom 12.05.2021]); Spiegel online: "Islamist wegen Anschlags auf schwules Paar zu Höchststrafe verurteilt" (21.05.2021 [Zugriff vom 21.05.2021])

12.02.2020: Rechtsextremer Mord an schwulen Mann in Altenburg (Thüringen)

Am 12. Februar 2020 wird der 52-jährige Mario K. in seiner Wohnung im ostthüringischen Altenburg brutal ermordet. Zwei Männer greifen ihn mit einem Messer an, treten und schlagen ihn gegen Oberkörper und Kopf. Erst am 11 Tage später wird der Leichnam am Tatort entdeckt. Die Staatsanwaltschaft Gera wirft den 19- und 23-jährigen Angeklagten Mord vor.

Als Grund für die brutale Tat gaben die Angeklagten an, Mario K. einen Denkzettel verpassen zu wollen, weil er ihnen kurz vor der Tat Geld für sexuelle Handlungen angeboten haben soll. Zudem wurde dem Todesopfer im laufenden Prozess von den mutmaßlichen Tätern mehrmals Pädophilie unterstellt. „Diese Zuschreibungen gegenüber vermeintlich oder tatsächlich homosexuellen Menschen und die damit einhergehende Legitimierung von Selbstjustiz ist ein verbreitetes Narrativ der extremen Rechten. Deswegen gehen wir von einem homofeindlichen Tatmotiv aus. Auch Aspekte von Sozialdarwinismus kommen für uns in Betracht“, so Frank Zobel von Ezra - Beratung für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt in Thüringen.

Doch bislang legt sich die Geraer Staatsanwaltschaft nicht auf ein rechtsextremes noch ein homophobes Tatmotiv fest.

Quelle: Ezra Opferberatung: Mario K. wurde im Februar 2020 in Altenburg aus homofeindlichen Gründen brutal ermordet. (02.04.2021 [Zugriff vom 12.05.2021]). MDR: Mordprozess von Altenburg: Opferberatung Ezra sieht rechtes Tatmotiv (02.04.2021 [Zugriff vom 12.05.2021]).

Weiterlesen