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Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD)

Blutspendeverbot abschaffen - Anträge der Fraktionen FDP und Bündnis 90/ Die Grüne

Stellungnahme des LSVD zu den Fraktionsanträgen

Stellungnahme des Lesben- und Schwulenverbands (LSVD) vom 18. März 2021 zum Antrag der Fraktion FDP „Einfach Leben retten – Blutspendeverbot für homosexuelle und transgeschlechtliche Menschen abschaffen“ und zu den Anträgen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNE „Diskriminierung von homosexuellen und transgeschlechtlichen Menschen bei der Blutspende beenden“ und „Diskriminierung bei der Blutspende beenden – Transfusionsgesetz ändern“

Sehr geehrte Mitglieder des Gesundheitsausschusses,

der Lesben- und Schwulenverband (LSVD) bedankt sich für die Möglichkeit, zu den Fraktionsanträgen zur Abschaffung des Blutspendeverbots für MSM und transgeschlechtliche Personen der FDP und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNE Stellung zu nehmen.

Es wird darauf hingewiesen, dass die gewährte Frist zur Stellungnahme von nur einer Woche viel zu kurz bemessen ist. Zukünftig sollte als Regelfall eine Frist von vier Wochen vorgesehen werden, um der vielfach vorhanden ehrenamtlichen Struktur vieler zivilgesellschaftlicher Verbände und Vereine Rechnung zu tragen.

Die Anträge der Fraktionen begrüßen wir. Die Diskriminierung von Männern, die mit Männern Sex haben (MSM) sowie von transgeschlechtlichen Personen bei der Blutspende ist rechtswidrig, da die gleiche Sicherheit von Blutspenden durch andere, nichtdiskriminierende Maßnahmen sichergestellt werden kann.

Die Beendigung der Diskriminierung findet in der Bevölkerung breite Zustimmung. Das zeigt unter anderem eine aktuelle Petition an den Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, die Bundesärztekammer und das Paul-Ehrlich-Institut mit bereits über 70.000 Unterschriften.

1. Sicherheit von Blutspenden

Blutspendedienste sind auf freiwillige Blutspenden angewiesen. Bevor eine Person zur Blutspende zugelassen wird, muss sie einen Fragebogen ausfüllen, in dem unter anderem das sexuelle Risikoverhalten abgefragt wird. Antworten, die auf potentielle Risiken hinweisen, können zu einer Zurückstellung oder einem dauerhaften Ausschluss führen.

Der dauerhafte Ausschluss von so genannten Hochrisikogruppen, einschließlich MSM, wurde ursprünglich in den 1980er Jahren mit dem Auftreten von AIDS eingeführt. Damals wurde diese Vorsichtsmaßnahme mangels Testmöglichkeiten auf den AIDS-Erreger als notwendig erachtet.

Seit 1984 kann HIV durch Tests im Blut nachgewiesen werden. Seither haben sich die Nachweistechniken, Präventions- und Behandlungsmöglichkeiten stark verbessert. Neuinfektionen bei MSM gehen seit Jahren deutlich zurück. Die pauschale Einstufung aller MSM als Risikogruppe und eine Rückstellung für 12 Monate ist heute nicht mehr notwendig, um die Sicherheit der Blutspenden zu gewährleisten.

Viele Länder weltweit haben den dauerhaften Ausschluss von MSM von der Blutspende deshalb bereits aufgegeben.

2. Deutschland hinkt hinterher

Eine Vielzahl von Ländern hat die Regelungen zur Blutspende an die aktuellen wissenschaftlichen und medizinischen Erkenntnisse angepasst. Sie lassen Blutspenden von MSM und transgeschlechtlichen Personen ohne pauschale Rückstellfristen oder mit Rückstellfristen von drei bis vier Monaten zu.

In Dänemark dürfen MSM in einer festen Beziehung ohne Rückstellfrist spenden, ansonsten nach vier Monaten. In Bulgarien, Italien und Portugal wird jede Person individuell nach ihrem sexuellen Risikoverhalten befragt, unabhängig von der sexuellen Orientierung. Großbritannien und Kanada haben die Zeit auf drei Monate reduziert. In Brasilien kippte der Oberste Gerichtshof im Mai 2020 das Teilverbot für MSM beim Blutspenden als verfassungswidrige Diskriminierung. Bislang hatten MSM dort wie auch in Deutschland zwölf Monate auf sexuelle Beziehungen verzichten müssen, wenn sie Blut spenden wollten. Künftig müssen sie wie Heterosexuelle nach ihrem tatsächlichen Risikoverhalten bewertet werden und nicht nach ihrer sexuellen Orientierung.

Im Dezember 2020 haben auch England und Neuseeland neue Blutspenderegelungen verfasst. In England werden MSM nicht mehr anders behandelt als heterosexuelle Menschen. Ausschlaggebend ist, ob eine Person innerhalb von drei Monaten wechselnde Sexualpartner oder eine feste Beziehung haben. Zuvor durften MSM nur spenden, wen sie drei Monate abstinent waren. In Neuseeland galt bisher wie in Deutschland ein Blutspendeverbot für alle Männer, die innerhalb eines Jahres Sex mit einem anderen Mann gehabt haben. Die geforderte Abstinenzzeit wurde nun auf drei Monate gesenkt.

Ungarn hat 2020 ebenfalls die bisherigen Sonderregelungen für MSM beim Blutspenden abgeschafft. Es wird nicht mehr die sexuelle Orientierung der Spender*innen abgefragt, sondern das tatsächliche Risikoverhalten.

Auch in folgenden Ländern gibt es keine oder kurze Rückstellfristen: Argentinien (keine Rückstellung), Australien (drei Monate), Bhutan (keine Rückstellung), Bolivien (keine Rückstellung), Chile (keine Rückstellung), Costa Rica (keine Rückstellung), Frankreich (vier Monate), Grönland (vier Monate), Israel (keine Rückstellung), Kanada (drei Monate), Kolumbien (keine Rückstellung), Lettland (keine Rückstellung), Mexiko (keine Rückstellung), Niederlande (vier Monate), Nordirland (drei Monate), Österreich (vier Monate), Peru (keine Rückstellung), Polen (keine Rückstellung), Russland (keine Rückstellung), San Marino (keine Rückstellung), Südafrika (keine Rückstellung), USA (drei Monate) (Quellen: MDR, Reuters, Wikipedia mit weiteren Nachweisen).

3. Rechtswidrigkeit der aktuellen Regelung

Die aktuelle Regelung, die eine pauschale Rückstellung von MSM für 12 Monate vorsieht, ist europarechts- und verfassungswidrig. Sie ist unvereinbar mit der Richtlinie 2004/33/EG, mit dem Verbot der Diskriminierung wegen der sexuellen Orientierung in Art. 21 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und mit dem Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz.

Der Europäische Gerichtshof hat mit Urteil vom 29. April 2015 festgestellt, dass der Ausschluss von MSM von der Blutspende nur zulässig ist, „wenn aufgrund der derzeitigen medizinischen, wissenschaftlichen und epidemiologischen Erkenntnisse und Daten feststeht, dass ein solches Sexualverhalten (…) ein hohes Übertragungsrisiko für durch Blut übertragbare schwere Infektionskrankheiten birgt und dass es unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit keine wirksamen Techniken zum Nachweis dieser Infektionskrankheiten oder mangels solcher Techniken weniger belastende Methoden als eine solche Kontraindikation gibt, um ein hohes Gesundheitsschutzniveau der Empfänger sicherzustellen.“

Als weniger belastende Methode hat der EuGH auf die systematische Quarantäne bzw. das Doppeltestverfahren hingewiesen. Dabei wird das abgenommene Blut für einen bestimmten Zeitraum eingefroren. Nach diesem Zeitraum wird der Spender erneut auf Infektionskrankheiten getestet. Wenn er gesund ist, wird die eingefrorene Spende rückwirkend freigegeben. Dies ist eine Technik, die beispielsweise in Israel zur Anwendung kommt.

Als weitere weniger belastende Methode weist der EuGH auf die Sexualanamnese durch Fragebögen hin. Es müsse geprüft werden, „ob es durch gezielte Fragen zum seit der letzten sexuellen Beziehung verstrichenen Zeitraum im Verhältnis zur Dauer des „diagnostischen Fensters“, zur Beständigkeit der Beziehung der betreffenden Person oder zum Schutz in der sexuellen Beziehung möglich wäre, die Höhe des Risikos zu bewerten, das individuell durch den jeweiligen Spender aufgrund seines eigenen Sexualverhaltens besteht“.

Daraus folgt: Wenn eine gezielte Befragung der Blutspender*innen ausreicht, um das Risiko einer Übertragung von Infektionskrankheit im selben Maß zu minimieren wie der generelle Ausschluss aller MSM, ist dieser unverhältnismäßig.

Ein entsprechender Fragebogen existiert bereits. Aus den „Erläuterungen“ der gemeinsamen Arbeitsgruppe aus Vertretern des „Arbeitskreises Blut“ und des Arbeitskreises „Richtlinien Hämotherapie“ von April 2012 ergibt sich, dass eine Expert*innengruppe des „Arbeitskreises Blut“ bereits einen einheitlichen Spenderfragebogen entwickelt hat, der unter anderem sexuelle Risiken direkt erfasst. In einer Studie an 6.500 Neuspender*innen sei die Art der Befragung als verständlich und nicht zu persönlich beurteilt worden. Es hätten mehr Spender*innen mit sexuellen Risiken identifiziert werden können als mit den etablierten Fragebögen.

In einer Folgeuntersuchung habe sich aber gezeigt, dass die Akzeptanz dieser direkten Fragen bei einigen Spender*innen und Spendediensten nicht gegeben war. Die gemeinsame Arbeitsgruppe hat deshalb empfohlen, den dauerhaften Ausschluss für MSM von der Blutspende zugunsten einer zeitlich befristeten Zurückstellung von einem Jahr seit dem letzten Geschlechtsverkehr mit einem Mann aufzugeben. Diese Empfehlung wurde in der Hämotherapierichtlinie 2017 umgesetzt.

Das genügt den Anforderungen des europäischen Rechts nicht. Der EuGH hat ausdrücklich darauf hingewiesen, dass auch geprüft werden muss, ob „Fragen zur Beständigkeit der Beziehung der betreffenden Person oder zum Schutz in der sexuellen Beziehung“ ausreichen, um die Sicherheit der Blutproben zu gewährleisten. Wenn durch solche Fragen festgestellt wird, dass ein Blutspender kein riskantes Sexualverhalten aufweist, besteht kein Anlass, ihn von der Blutspende auszuschließen. Das wäre rechtswidrig.

Fragebögen mit direkten Fragen nach sexuellem Risikoverhalten will man offenbar nicht einführen, weil einigen Spender*innen und Spendediensten solche Fragen zu weit gehen. Das können wir nicht nachvollziehen. Nach der geltenden Richtlinie werden heterosexuelle Personen für die Blutspende ausgeschlossen, wenn sie Geschlechtsverkehr mit häufig wechselnden Partner*innen hatten. Es muss daher ohnehin nach dem sexuellen Risikoverhalten gefragt werden. Das gilt für heterosexuelle Praktiken ebenso wie für homosexuelle. Eine Befragung der Spender*innen ist nur sinnvoll, wenn nicht nur gefragt wird, ob sie einer Risikogruppe angehören, sondern wenn konkret nach riskantem Sexualverhalten während der maßgeblichen Zeit gefragt wird. 

4. Individuelles Risikoverhalten muss maßgebliches Kriterium sein

Die gleiche oder sogar höhere Sicherheit von Blutkonserven lässt sich auch ohne Diskriminierung gewährleisten. Das Risiko einer Infektion bemisst sich danach, ob das Sexualverhalten riskant ist, nicht danach, ob eine Person homo-, bi- oder heterosexuell bzw. transgeschlechtlich ist. Der Ausschluss von Personen von der Blutspende muss sich deshalb nach dem persönlichen sexuellen Risikoverhalten richten.

Die Unterstellung, dass Sexualkontakte zwischen Männern in jedem Einzelfall eine größere Infektionsgefahr bedeuten, ist genauso diskriminierend wie absurd. Männer, die Sex mit Männern haben, sind keine homogene Gruppe. Sie unterscheiden sich stark in der Anzahl ihrer Sexualpartner sowie in der Ausübung riskanter sexueller Verhaltensweisen. Es ist verfehlt, Sexualkontakte zwischen Männern grundsätzlich als Risikoverhalten zu definieren.

Entscheidend für die Höhe des Risikos ist neben der individuellen Anzahl von Sexualpartner*innen (die ohnehin abgefragt wird) vor allem die Frage, wie Sexualkontakte im Hinblick auf die Vermeidung von Übertragungsrisiken gestaltet werden. Dabei spielt nicht nur eine Rolle, ob Schutz-Methoden genutzt wurden (Kondom, PrEP etc.), sondern auch, welche Sexualpraktiken ausgeübt wurden. Verschiedene Sexualpraktiken haben ein unterschiedlich hohes Übertragungsrisiko. Während ungeschützter, aufnehmender Analverkehr mit einer HIV-infizierten Person ein hohes Übertragungsrisiko von 1,4 Prozent aufweist, weisen andere Praktiken (Oralverkehr, gegenseitige Masturbation) faktisch kein Übertragungsrisiko auf (unter 0,005 Prozent).

Das individuelle Risiko kann über eine Sexualanamnese mit einem Fragebogen abgefragt werden. Eine Sexualannamnese, die sich am individuellen Risiko der Spender*innen orientiert, ist sogar geeignet, eine höhere Sicherheit der Blutspenden zu gewährleisten als der bisherige pauschale Ausschluss bzw. Rückstellung bestimmter „Hochrisikogruppen“. Das ergibt sich aus den Erläuterungen der oben zitierten gemeinsamen Arbeitsgruppe, wonach durch Fragebögen mit gezielten Fragen nach sexuellen Risiken mehr Spender*innen, bei denen eine Rückstellung oder ein Ausschluss angezeigt ist, identifiziert werden konnten als mit den bisherigen Fragebögen. Ein Fragebogen, der reale Risiken abfragt, anstatt pauschal ganze Gruppen von der Spende auszuschließen, kann zudem die Akzeptanz erhöhen, falsche Angaben verringern und Blutspenden noch sicherer machen.

5. Rückstellfristen müssen sich am diagnostischen Fenster orientieren

Der Nachweis von HIV und HCV ist erst einige Zeit nach der Infektion möglich. Dieser Zeitraum wird als "diagnostisches Fenster" bezeichnet. Es ist sachgerecht, Personen mit einem möglichen Risiko einer HIV oder HCV Infektion solange von der Blutspende zurückzustellen, bis eine Infektion nachgewiesen werden kann. Eine längere Rückstellungsfrist hingegen ist sinnfrei und willkürlich.

Das diagnostische Fenster beträgt nach Angaben des Robert Koch-Instituts für HIV mit direkter Genomtestung mittels NAT ein bis zwei Wochen, mit kombinierten Antikörper-Antigen-Suchtests sechs Wochen und mit reinen Antikörper-Suchtests und Schnelltests 12 Wochen. Für Hepatitis C (HCV) beträgt das diagnostische Fenster bei direkten Testverfahren ein bis zwei Wochen bzw. bei der Verwendung von Immuntests sieben bis acht Wochen.

Eine Ausschlussfrist, die über dieses diagnostische Fenster hinausgeht, ist sinnlos. Eine Rückstellungsfrist von zwölf Monaten ist völlig willkürlich.

6. Die explizite Nennung von transgeschlechtlichen Personen ist überflüssig und stigmatisierend

Die explizite Nennung von trans* Personen ist überflüssig und durch die explizite Hervorhebung stigmatisierend. Trans* Personen können hetero-, bi- oder homosexuell sein. Das heißt: Hätten sie ein "sexuelles Risikoverhalten", wären sie entweder bereits als heterosexuelle Personen von der Blutspende ausgeschlossen bzw. dürften als schwule bzw. bisexuelle Personen ebenfalls nur spenden, wenn sie 12 Monate enthaltsam gelebt haben.

7. Forderungen

Der LSVD fordert,

  • dass die verfehlte Beurteilung der Spender*innen nach Risikogruppen aufgegeben und dass stattdessen vornehmlich auf riskantes Sexualverhalten abgestellt wird,
  • dass sich die Rückstellfrist am diagnostischen Fenster orientiert,
  • dass die Rückstellfrist für MSM nicht höher ist als die Rückstellfristen bei sonstigen Risiken und
  • dass die gesonderte Erwähnung von transgeschlechtlichen Personen gestrichen wird.

Der Bundestag sollte, wie von der FDP-Fraktion und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNE gefordert, die Bundesregierung dazu auffordern, bei der Bundesärztekammer darauf hinzuwirken, dass die Richtlinie Hämotherapie in diesem Sinne geändert wird. Ebenfalls begrüßen wir den Vorschlag der Fraktionen, im Transfusionsgesetz ein Diskriminierungsverbot zu verankern.

Mit freundlichen Grüßen

Sarah Ponti, LL.M. (Melbourne)
LSVD-Grundsatzreferat

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